Was ist das – Philosophische Praxis
URSPRÜNGE UND ENTWICKLUNG
Die erste „Philosophische Praxis“ wurde 1981 vom deutschen Philosophen Gerd Achenbach in Bergisch Gladbach bei Köln gegründet. In bewusster Distanzierung von der akademischen Philosophie einerseits und von den Psychotherapien andererseits konkretisierte er die Idee einer philosophischen Lebensberatung. Das Wort „Praxis“ beinhaltet also sowohl den Diskurs um die Frage, was Philosophie in der heutigen Welt sein kann oder sein sollte, als auch einen ganz konkreten Ort, den Menschen aufsuchen können. Die Erfahrungen von Gerd Achenbach, die er in vielen Veröffentlichungen und Kongressen der „Gesellschaft für philosophische Praxis“ mit Kollegen teilte, überzeugten nicht nur die Gäste seiner Praxis, sondern inspirierten auch andere Philosophen, es ihm nachzutun. Inzwischen ist das Format der Philosophischen Praxis zu einer anerkannten internationalen Bewegung angewachsen. Es gibt verschiedene Ausbildungsgänge, einen Berufsverband sowie die Internationale Gesellschaft für Philosophische Praxis, igpp.org , die regelmäßig Kongresse und Austauschplattformen organisiert und bei der ich seit 2019 Mitglied bin. Ich habe die viersemestrige Ausbildung zur „Akademischen Philosophischen Praktikerin“ an der Universität Wien sowie den dreijährigen „Lehrgang der Philosophischen Praxis“ bei Gerd Achenbach absolviert.
Es gibt nicht DIE Philosophische Praxis und es gibt auch keine allgemeinen Methoden der philosophischen Gesprächsführung. In unseren Austauschforen streiten und ringen wir um einen Qualitätsstandard, ohne uns einem Methodenzwang zu unterwerfen. Letztendlich ist es der einzelne Mensch, der sich als Philosoph bzw. Philosophin in den echten Dialog mit seinem Gast begibt. Als solcher ist er immer auch mit seiner eigenen Lebensgeschichte anwesend und er schöpft aus einem je individuellen Schatz von philosophischen Lehrmeistern, bei denen er sich stets neu beheimatet und mit denen er seinen eigenen Stil entwickelt.
MEIN SELBSTVERSTÄNDNIS ALS PHILOSOPHISCHE PRAKTIKERIN
Ich bin der Auffassung, dass Philosophische PraktikerInnen die Aufgabe haben, die Lücke zu schließen zwischen einem Therapeuten, der den Menschen letztendlich naturwissenschaftlich betrachtet, und einem theologischen Seelsorger, der im säkularen Zeitalter in der „Seele“ der Menschen immer weniger Widerhall findet. Darum bezeichne ich mich gerne als philosophische Seelsorgerin. Aber damit beginnt schon die erste Frage: Was ist das eigentlich: die Seele? Wo ist sie ? Welche Farbe hat sie? Was meinen z.B. die großen Denker der Antike, wenn sie unter Philosophie die cultura animae, die Pflege der Seele, verstehen?
Philosophen bieten ein großes Feld und ein vielseitiges Handwerkszeug, um Fragen, die das Leben und vielleicht auch das Sterben an uns stellt, auf besondere Weise zwar nicht zu beantworten, aber gemeinsam zu durchdenken. Durchdenken heißt hier nicht, ein rationales Suchen nach logischen Antworten, sondern es ist in den entscheidenden Fragen des Lebens eher ein Sich-Herantasten an das, was sich unserer Vernunft letztendlich entzieht. Immanuel Kant formuliert immer wieder, dass es das Schicksal unserer Vernunft sei, dass sie durch Fragen bedrängt wird, die mit der Vernunft nicht beantwortbar sind. Diese Fragen nennen Philosophen manchmal die „letzten Fragen“, es sind die, die übrig bleiben, wenn man die Welt als eine Welt von Tatsachen logisch erklärt und in den Griff bekommen hat. Danach zeigt sich häufig, dass wir die eigentlichen Lebensthemen nicht in den Griff bekommen. Dazu gehört z.B. die Frage nach dem Sinn des Lebens angesichts der Endlichkeit des Daseins. Die Frage, ob die Seele unsterblich ist. Die Frage nach der Schuld oder Verantwortlichkeit für das eigene Handeln oder das Handeln der Anderen. Hätte mein Leben anders verlaufen können? Können wir uns frei entscheiden, wie wir handeln und leben? Was macht ein gelungenes Leben aus? Welche Rolle spielt das sogenannte Schicksal? Gibt es ein moralisches Gesetz im Menschen, so etwas wie eine Richtschnur für gutes oder böses Verhalten? Wie kommt das Böse in die Welt? Kann man alles verzeihen? Kann sich ein Mensch in Laufe seines Lebens verändern? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?
Wir können diese Fragen nie abschließend als Wahrheit beantworten, aber wir können sie in guten Gesprächen gemeinsam immer besser be-greifen. Das philosophische Gespräch ist ein Ort, an dem wir es im Unbeantwortbaren aushalten ohne die übliche Geste des Wissen-Müssens.
Meine bisherigen Gespräche haben gezeigt, dass unsere Lebensgeschichten ausgesprochen oder unausgesprochen voll sind von solchen unbeantwortbaren Fragen oder von verinnerlichten Annahmen, wie wir diese Fragen beantwortet haben, ohne zu prüfen, ob unsere einmal gegebene Antwort richtig ist. Wir erkennen oft nicht, dass wir von einer Wahrheit ausgehen, die es so gar nicht gibt. Wir bauen unser Leben auf Annahmen, auf mal mehr mal weniger großen Irrtümern und wundern uns, dass wir immer wieder in dieselbe Sackgasse geraten oder dass etwas gelingt, wo wir es nicht erwartet haben. Philosophieren stellt Gewissheiten in Frage, in denen wir uns eingerichtet haben und die das, was wir denken, meinen, fühlen und hoffen bestimmen. Das gemeinsame Durchdenken dieser Gewissheiten öffnet für eine Gesamtsicht auf die Dinge, die mehr einbezieht, als wir gemeinhin tun.